vom 26. april 2010

1.

berlin, 18. april (afp) – “die greulnachrichten, die in letzter zeit in berlin ausgestreut werden, und denen zufolge ein schwarzer markt mit menschenfleisch vorhanden sein soll, verfolgen rein politische ziele”, erklärte ein hoher kriminalbeamter dieser stadt. “die berliner polizei stellt zu zeit beunruhigende nazitätigkeit fest, die hauptsächlich in einer flüsterpropaganda bestehen, deren zweck es ist, die bevölkerung in panik zu versetzen”, sagte er weiter. das letzte gerücht bezieht sich auf frauenraub grossen stils und an die umwandlung ihrer leichen in fleichprodukte, die auf dem schwarten markt feilgeboten werden. diese gerüchte hatten jedoch in berlin eine sehr heilsame wirkung, denn die bevölkerung kauft kein fleisch mehr auf dem schwarzen markt. die tatsache selber wurde von den erwähnten beamten in entschiedener form dementiert.
– argentinisches wochenblatt, #3659, lxviii. jahrgang, buenos aires (27. april 1946)

zeitflackern
ich ziehe eine karte: verzweiflung
lose schieferplatten
adrette backsteine, saisonfarben rot
wir warten
neben dem umgerissenen haltestellenschild
und hoffen dass der fahrer uns nicht übersieht

2.

preßburg, 25. april 1942 (a.a.) die presse veröffentlicht eine bilanz über die jüdische wirtschaft in der slowakei im lauf der jahre vor der gründung des slowakischen staates. die zeitungen heben die tatsache hervor, dass der ausschluss der juden aus der slowakischen wirtschaft und der oeffentlichkeit der slowakei eine lebensnotwedigkeit für die slowakei war, denn es handelte sich um sein oder nichtsein. von der gesamtbevölkerung von 2,6 millionen waren 90.000 juden, die aber 40% des volkseinkommens besaßen, während zwischen 1918 und 1938 110.000 slowaken ihr vaterland verlassen mussten, weil sie keine arbeit finden konnten. die mehrheit des landbesitzes und der industrie befand sich in jüdischen händen. (…)
– türkische post, #99, 17. jahrgang, istanbul (27. april 1942)

zeitzähne
ein wäschestück, tatbestand
wie zum trocknen an eine pinzette gehängt
straßenfeger schieben staubwolken vor sich her/
von der bootsreling aus sieht man sie
durch zeitöhre kriechen und schlagworte gestriger
ideologien aus den rillen der gehwegplatten bürsten
durch signalwesten geschäftig gemacht & ausgezirkelt aus dem raum

 

3.

oslo, den 27. april (transocean) die proklamation, welche reichskommisiar für die besetzten gebiete norwegens, josef terboven, erliess und welche von der norwegischen presse veröffentlicht wurden, lautet wie folgt: “im auftrage des führers und reichskanzlers adolf hitler habe ich als reichskommissar für die dauer der besatzung die zivilverwaltung in allen gebieten, welche von deutschen truppen besetzt worden sind, übernommen. ich betrachte meine hauptaufgabe in der erhaltung der sicherheit und ordnung, der sicherstellung des wirtschaftlichen und kulturellen lebens der bevölkerung und in der schaffung der vorbedingungen für die militärischen erfordernisse, welche in dem lande notwendig geworden sind, in welchem gegen den wunsch der deutschen regierung der kampf noch immer andauert. viel wird abhängen von der bevölkerung, die sich treu an meine instruktionen hält. die norwegischen verwaltungsbehörden haben sich für die mitarbeit zur verfügung gestellt, sie werden deshalb im amt verbleiben und ihre arbeit wie bisher fortsetzen.”
– deutsche zeitung in nordchina, #2918, 11. jahrgang, tientsin (27. april 1940)

zeit für zeit
die tage drücke ich mir mit bildern durch die haut
an den unsauber gefertigten nahtstellen
liest man mir den tremor ab
ausschläge meiner hand, der gezitterte kreis
wie jahresringe umkreist sie kreise
holt immer weiter aus
meine patina aus unzulänglichkeiten/
nachbar steht an fenster
hinter dem nacht fäden zieht
kunstlicht dichtet fenster spiegel
er rasiert sich das kinn
interessiert sich für sich
höhlt sein kreuz wölbt bauch
geräuschvoll sirrt, erinnert,
sein rasierapparat in meinem
wölken kopf.